[Public] Fefes Kommentar zu der Gender - Diskussion --> Lesenswert!
Christopher Stumm
cstumm at all-ternativ.de
Do Jan 3 01:39:20 CET 2013
Nachdem der 29c3 vorbei ist und sich dieser Creepercard-Kram nun doch
leider langsam ins Netz ergießt, möchte ich auch ein paar Punkte zu
Protokoll geben. Erstens: der Congress war großartig, es war ein
Riesenspaß, da waren lauter nette, freundliche, interessante und
interessierte Leute und ich habe schöne Dinge gesehen und gelernt,
spannende Gespräche geführt und meinen Horizont erweitert. Leider haben
ein paar Schreihälse (Gerüchten zufolge als "jetzt werden wir diese
Hacker aber mal so richtig vorführen"-Reaktion auf die voll nach hinten
losgegangene C-Base-Klotür-Sache) die Außenwahrnehmung des 29c3
beschmutzt; als Veranstaltung, wo sich Frauen nur in Begleitung von
schwerbewaffneten Bodyguards wagen können, weil sie sonst schon beim
Einparken mit Übergriffen rechnen müssten. Das tut schon mir weh, der
ich nur Vortragender und Mitglied bin. Wie muss sich erst jemand fühlen,
der ein halbes Jahr seines Lebens in die Organisation investiert hat?
Ungefähr so wie ihr euch das jetzt vermutlich vorstellen könnt, ich habe
auf dem Congress persönlich ein paar Stunden mit Deeskalation verbracht.
Und die unbesungenen Organisatoren des Kongresses waren auch die
einzigen echten Opfer dieser ganzen Angelegenheit, denn tatsächliche
physische Übergriffe gab es keine, jedenfalls wurde dem Awarenessteam
keiner gemeldet.Awarenessteam? Ja, wir hatten ein Awarenessteam. Das
A-Team war mit 8 Teilnehmern sehr großzügig besetzt, wenn man bedenkt,
dass es aus Sicht des Clubs keine Anzeichen dafür gab, dass es hier
wirklich ein Problem gibt, und dass der Club an anderer Stelle Probleme
hatte, genügend viele Freiwillige zu finden, um alle nötigen Aufgaben
während des Kongresses erledigen zu können. Es gab auch mehrere
Gender-Vorträge im Programm, das ist unter Hackerkonferenzen ein
Alleinstellungsmerkmal. In einem Programm, das sich dann auch prompt als
"hat zu wenig Tech-Talks" beschimpfen lassen musste.Ich muss ein
bisschen ausholen, um das Mimimi zu rechtfertigen, was gleich kommt. In
der Berichterstattung über den 29c3 gab es den schönen Satz, dass die
Hamburger Behörden das Konfliktpotential beim 29c3 geringer als bei
einem Kirchentag einschätzen. Das würde ich sogar noch drastischer
formulieren wollen. Wenn man auf dem Congress eine kaputte Fernbedienung
irgendwo liegen lässt, wird die nicht nur nicht geklaut, sondern mit
einer gewissen Wahrscheinlichkeit hat sie der Finder auch gleich noch
repariert. Ein Kumpel hat auf dem Camp sein Auto abzuschließen
vergessen. Das stand da ein paar Tage unabgeschlossen rum. Niemand hat
es geklaut, auch das Autoradio war noch da. Nach dem Camp fuhr er in die
Innenstadt, parkte, schloss ab, ging kurz was essen, kam zurück, da war
das Auto aufgebrochen und der Inhalt geklaut. Hacker sind zwar manchmal
sozial gestört, introvertiert, werden in der Schule gemobbt, aber gerade
das sorgt dafür, dass sie Respekt vor der Privat- und Intimsphäre
Anderer haben und nicht übergriffig werden. Gibt es Ausnahmen? Bestimmt.
Außerdem kommen zu so einer Massenveranstaltung ja nicht nur Hacker. Und
wir machen ja am Eingang keine Gesinnungskontrolle mit Lügendetektor.
Und dann gibt es da noch den Einfluss von Alkohol und anderen Drogen.Der
Congress ist ein Community-Event. Das ist kein "die Orga macht und ihr
konsumiert". Die Vorträge kommen aus der Community, die Helfer kommen
aus der Community, die Orga rekrutiert sich aus der Community, sogar die
Auswahl der Vorträge ist ein Community-Ding. Wer etwas auf dem Congress
haben möchte, der bringt die nötigen Teile mit und macht es einfach.
"Die Orga" schafft die nötige Infrastruktur (Strom, Licht, Wasser,
Internet, Platz, Blog, Wiki), den Rest machen die Teilnehmer selbst. In
diesem Kontext muss man sich die Bestürzung des A-Teams vorstellen, als
der erste Konfliktpunkt war, dass jemand im Wiki eine Seite mit
sexistischem Dummschwall hinterlassen hatte. Und das war jetzt nicht mal
Kram, der Argumente hatte, und möglicherweise Schaden anrichten kann,
weil er Leute umstimmen könnte, sondern offensichtlicher Vandalismus.
Das ist ein Wiki. Die korrekte Reaktion wäre gewesen: Dummschwall
löschen. Der Edit-Button ist auf der Seite selbst. Klicken, Text
rausnehmen, Submit klicken, fertig. Ein Dutzend Menschen haben sich auf
Twitter über diese Seite empört. Niemand hat den Edit-Button gefunden.
Und keiner rief bei der Hotline an.Ein anderes Beispiel war, dass jemand
aus den Creepercards einen Frauenkörper gelegt hatte. Erinnern wir uns
kurz daran, was ein Hacker ist. Ein Hacker ist jemand, der kreativ mit
Dingen umgeht, die andere nur wie vorgesehen benutzen würden. Hier hat
jemand Creepercards gesehen und ist damit kreativ umgegangen. Genau
diese Art von Menschen wollen wir haben! Die aus an sich negativen
Dingen Kunst machen können! Das war aus meiner Sicht auch das
Hauptproblem und Auslöser für die unentspannten Momente, dass die
meisten Besucher die Karten nicht ernst nahmen, sondern für einen Spaß
hielten. In einem Umfeld, in dem Pro-Guttenberg-Demonstrationen
organisiert werden und in dem Leute mit Fnord-T-Shirts herumlaufen, die
täuschend echt nach dem Ford-Logo aussehen, ist das ja wohl auch nicht
verwunderlich, denn die Karten erfüllten alle Kriterien von Satire: kein
Ansprechpartner genannt, keine Anleitung oder Einführung zum Schaffen
eines Problembewusstseins dabei, keine weiterführenden Links, anhand
derer man sehen kann, was einem da eigentlich gerade konkret vorgeworfen
wird und wie man sein Verhalten ändern soll, und aus Sicht der meisten
Besucher bestand auch kein Bedarf an einer Lösung für das
Sexismus-Problem, weil das Problem so nie wahrgenommen wurde. Ich würde
sogar konstatieren, dass die Karten für ihren vorgeblichen Zweck
offensichtlich völlig ungeeignet waren, aber das hat auch mit dem
Congress zu tun, der ja nicht grundlos Chaos Communication Congress
heißt. Beim Congress geht es um das Kommunizieren. Sexismus ist ein
soziales Problem, sowas löst man, indem man miteinander redet. Diese
Karten sind kein Kommunikationsmittel, sondern ein
Kommunikationsbeendigungsmittel. Das ist kein Kommunizieren, das ist ein
Pranger. Auf den roten Karten stand sinngemäß drauf, man solle froh
sein, dass man nicht direkt einen in die Fresse gekriegt habe, und
stattdessen nur diese Karte hier überreicht bekommen hat. Wer
körperliche Gewalt androht, hat sich in jeder auf Kommunikation
aufbauenden Kultur direkt vollständig und nachhaltig selbst
disqualifiziert. Ich für meinen Teil habe die Debatte im Vorfeld
partiell mitgekriegt und nahm an, dass die Karten ernst gemeint waren.
Der Großteil der Congressteilnehmer wusste das nicht und hielt das für
einen schlechten Scherz. Dementsprechend wurden dann damit gespielt. Das
Spektrum ging vom erwähnten Frauenkörper über ein Penis aus grünen
Karten, über eine Krone, ein Minecraft-Creeper, ein Brustpanzer (sehr
meta!) bis hin zu Space Invaders. Für Penis und Frauenkörper gibt es
inzwischen ein Bekennerschreiben. Das A-Team hat sich mit denen
hingesetzt und ihnen erklärt, dass das eine Provokation sei und für die
Gesamtsituation nicht förderlich, und dann war das weg und alles war
wieder gut. Kommunikation hilft nämlich in solchen Situationen — im
Gegensatz zu Pranger-Karten.Der andere wohlpublizierte Fall war das
Hacker Jeopardy, bei dem auf Twitter die größte Empörung von Menschen
kam, die überhaupt nicht auf dem Congress waren. Und nur ein
verschwindend geringer Bruchteil von denen hatte die Integrität, das
auch dranzuschreiben an ihre Tweets. Ich empfehle jedem, sich erstmal in
Ruhe den Stream anzugucken, bevor sich da irgendwelche Meinungen auf
Basis von Hysterie-Tweets anderer Leute bilden. Die rote Karte ist ihrem
Text nach zu urteilen ausdrücklich für wirklich widerliche,
handgriffliche, physische Übergriffe gedacht, so Kategorie "Angreifer
nähert sich mit heruntergelassener Hose und ausgestreckten Händen in
Grabbelhaltung". Ich kann es den Moderatoren angesichts der geradezu
lächerlichen Zoten, derer sie da angeklagt werden, nicht übel nehmen,
dass sie die Übergabe der roten Karten für eine Satire-Handlung hielten.
Zumal hier mit unproportionaler Agressivität auf Witze über die
Creepercards reagiert wurde, nicht über Frauen oder Minderheiten. Über
die Karten. Es gab danach ein Gespräch zwischen den Moderatoren und dem
A-Team und jetzt sind die Missverständnisse ausgeräumt. Kommunikation
hilft nämlich bei sowas, Karten nicht.Sehr spannend beim Hacker Jeopardy
ist auch, dass bei all dem gerechten Zorn und der Hysterie auf Twitter
(bis hin zu "Macker-Jeopardy" und Aufrufen, die Moderatoren
rauszuschmeißen und Hacker-Jeopardy zu verbieten!) kaum jemand sagen
konnte, was eigentlich der Auslöser war. So nichtig war der Auslöser.
Eine Version, die ich hörte, war dass jemand angesichts der offenen
Frauenförderung der Moderatoren gegen die positive Diskriminierung
protestieren wollte. Dem kann man sich jetzt inhaltlich anschließen oder
nicht, aber eine rote Karte für positive Diskriminierung ist ja wohl
völlig indiskutabel.Unter dem Strich stellte sich bei Einigen die
Befürchtung ein, dass es bei diesen Karten gar nicht darum geht,
irgendein tatsächlich vorhandenes oder eingebildetes Sexismus- oder
Übergriffsproblem zu lösen, sondern es nur um das Kaputtmachen des
Kongresses geht. Es gab da im Vorfeld einige Tweets und Blogkommentare
im Umfeld der Klotür-Geschichte, die sich so deuten ließen. Auf der
anderen Seite soll man niemandem bösen Willen unterstellen, nur weil das
Ergebnis ihrer Bemühungen negativ ist und sie ihren Kurs nicht
korrigieren. Daher gab es Gespräche zwischen A-Team und der Flauscheria
und (soweit bekannt) den Mitbringern der Creepercards, die am Ende in
einer "Policccy"-Gesprächsrunde mündeten. Das Ergebnis war ernüchternd.
Die Creepercard-Verantwortlichen schoben das Versagen der Karten der
Congress-Orga in die Schuhe. Einige der üblichen Verdächtigen kamen gar
nicht erst zu dem Treffen. Das hat die Fronten eher verhärtet, auf
Clubseite fallen jetzt vereinzelt Wörter wie "Agitation", und es stellt
sich das Gefühl ein, dass hier jemand angereist ist, um Vorwände für
Empörung zu suchen, und wenn kein Problem da ist, dann konstruiert man
halt eines, indem man zu einer Gameshow spät in der Nacht geht und dort
die flapsige Moderation anprangert. Das fühlt sich alles an wie ein
Trollversuch, nicht wie der berechtigte Hinweis auf ein tatsächliches
Problem. Und der Verlierer ist am Ende der Kampf gegen den tatsächlichen
Sexismus, denn hier werden Begriffe wie "Sexismus", "Vergewaltigung",
"Rape Culture" u.ä. so inflationär durcheinandergeworfen, dass am Ende
jemand mit einem wirklichen Übergriffsproblem statt der nötigen Hilfe
ein "Haha, hat dir jemand was an die Klotür gemalt?" kriegt, weil
drumherum so viel undifferenziert hyperventiliert wurde.Wie fließend die
Übergänge zwischen Satire und Realität waren, kann man anhand dieses
Tweets an sich selber prüfen. Ist das jetzt ernst gemeint oder Satire?
Die können doch nicht ernsthaft eine Flauschecke aufmachen und dann
Knutschende rausschmeißen? Oder doch? Schon während des Kongresses hat
die Presse angefangen, explizit nach Frauen auf dem 29c3 zu suchen. Ihr
werdet doch bestimmt auch krass unterdrückt hier, oder? Operation
erfolgreich, Patient tot.Oder wie ist es hiermit? Die Karten haben nicht
nur die Stimmung vergiftet, sondern selbst zu mehr Belästigung geführt
als es vorher ohne sie gab und sie zu bekämpfen vorgaben. Klar, man kann
da jetzt Unwissenheit, Naivität und Inkompetenz unterstellen. Oder man
kann davon ausgehen, dass das die Absicht war. Ich habe mir meine
Meinung noch nicht zu Ende gebildet an der Stelle, tendiere aber alleine
aus verschwörungstheoretischen Gründen grundsätzlich zu
Absicht.Unabhängig davon ist der Schaden natürlich jetzt angerichtet.
Weil hier ein paar Menschen ihr Lebensbild dem Rest der Welt aufdrängen
wollten, hat der Kongress jetzt nicht nur Gender-Trolle sondern auch
Maskulinisten am Bein, und Taliban aller Couleur. Hier wird "ich fühle
mich belästigt" zum Maßstab für das Handeln aller Anderen erhoben. Was
wenn nächstes Jahr die katholische Kirche oder die Scientologen ankommen
und sich in ihrer Religionsausübung unterdrückt fühlen? Einer der
Vorträge dieses Jahr war Sprache, Ungleichheit und Unfreiheit von Anatol
Stefanovitsch. Das hätte die Debatte voranbringen können, aber ging so
im Gezeter über "Macker-Jeopardy" unter.Abschließend möchte ich noch
darauf hinweisen, dass der CCC seit Jahren gegen die
Vorratsdatenspeicherung kämpft, weil dort weite Teile der Bevölkerung
unter Pauschal-Verdacht gestellt werden. Einer der NSA-Whistleblower hat
in seinem Vortrag erwähnt, dass eine der wichtigsten Freiheiten die
Freiheit von Verdacht und Ermittlung sei. Und jetzt kommen hier ein paar
selbsternannte Aktivisten und fordern von uns, dass wir unsere
Teilnehmer unter Pauschalverdacht stellen und Warnhinweisschilder
aufstellen, dass sexuelle Übergriffe und Sexismus bei uns unerwünscht
sind. Das zeugt von einem so geringen Ausmaß an sich vorher mal auf die
Zielgruppe eingelassen habens, dass solche Leute bei mir direkt verloren
haben und das auch nur unter größtem Aufwand wieder reparieren können.
Überhaupt drängt sich der Eindruck auf, dass die lautesten Kritiker noch
nie auf einem Kongress waren.(Kurzes Intermezzo) Wo kommen diese
Creeper-Cards eigentlich her? Aus den USA. Dort herrscht eine völlig
andere Hacker-Konferenz-Kultur. Auf der Defcon liefen vor ein paar
Jahren Porno-Modelle halbbekleidet herum und machten Werbung für diese
Porno-Produktion, bei der ein Model die nmap-Homepage vorliest. Da gibt
es auch eine ganz andere Prüderie und ein höheres Alterslimit für
Alkohol, was sich dann auf Konferenzen so niederschlägt, dass hormonell
unbalancierte Jugendliche zum ersten Mal Alkohol trinken und mit
weiblichen Brüsten konfrontiert werden und dann enthemmt Frauen
angraben. Die Leute, die diese Karten nach Deutschland geholt haben,
kennen vermutlich weder die Defcon noch den Kongress. Die Defcon findet
übrigens in Las Vegas statt, d.h. das Ambiente dort sind Spielhöllen,
Showgirls und Stripper.Die Lautesten unter den Empörten waren auch
diesmal nicht vor Ort sondern empörten sich aus der Ferne. Einige kamen
beim Kongress direkt mit einer Haltung wie "respektiert mich endlich
auch mal und hört mit dem Grapschen auf" an, und wunderten sich dann
über das Unverständnis derjenigen, die seit Jahren da sind und noch nie
von Grapschproblemen gehört haben und bei denen man sich Respekt
erarbeitet und nicht einfach nur einfordert.Zusammenfassung: Probleme
löst man, indem man über sie redet. Nicht indem man andere Leute
öffentlich an den Pranger stellt. Die Creeper-Karten haben so viel
Schaden angerichtet, dass selbst wenn jemand noch einen positiven Aspekt
nachweisen kann, netto nur Verlust übrig bleibt. Das war alles vorher
schon absehbar. Es ist eine Schande, dass Einzelne das Kaputtmachen
einer so schönen Sache wie des Kongresses billigend in Kauf nahmen, und
dabei noch als Kollateralschaden ihr vorgebliches Anliegen der
Sexismusbekämpfung generell beschädigen. Ich hoffe sehr, dass da jetzt
alle was draus gelernt haben.Update: Hier kommt gerade eine Mail von
einem der beiden rein, die die erste rote Karte überreicht haben, mit
Bitte zum als Update dranhängen. Ich zitiere mal:Wir haben uns spontan
ueberlegt ob es gelb oder rot werden soll. Du hast recht: 'rot' sollte
eigentlich bei krassen Grenzueberschreitungen, insbesondere auch
taetlichen Uebergriffen, verwendet werden. Insofern haben wir uns auch
die Frage gestellt, ob 'rot' vllt zu krass waere. Unser Argument fuer
'rot' war letztlich: diese Buehne, die ganze mediale Aufmerksamkeit —
das wirkt alles als Multiplikator fuer den 'normalen' Alltagssexismus,
der von der Moderation verbreitet wurde. Aus diesem Grund wurde es 'rot'.
http://blog.fefe.de/?ts=ae1a50a0
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